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Mittwoch, 13. Juni 2018

Neue Webseite!


Bitte besucht mich auf meiner neuen Webseite:

www.stephanmeurisch.de

Dort findet Ihr nicht nur, wie gewohnt alle Blogartikel, sondern viele weitere neue Infos zu anstehenden Terminen, wie Vorträgen & Workshops, alles über meine neue Reise und eine zusätzliche Überraschung.


Bis gleich,
Stephan

Montag, 11. April 2016

Long Trail Home






"Long trail Home"

Ich darf heute freudig meine nächste Reise präsentieren. 

Hier eine kurze Zusammenfassung: 
Wo: Dessau, Sachsen-Anhalt - Meine Geburtsstadt
Ziel: Santiago de Compostela 
Stilmittel: Improvisation 
Teilnehmer: 2

Warum "Long trail Home" ?
Nun, meine nächste Reise werde ich in meiner Geburtsstadt starten. 
In Dessau, Sachsen-Anhalt  -  Home. 

Die Reise wird mich dorthin führen wo alles begann. Zurück auf den Jakobsweg - dort wo ich 2009 erstmals die Idee hatte, die 13.000Km nach Tibet zu gehen.  
Es geht zurück zum Ursprung  -  Home. 

Zu Hause ist also wo die Geschichte anfängt. In jeglicher Hinsicht. 
Und dann ist da noch die Frage: Was ist zu Hause?
Ist es ein Ort oder ein Gefühl?

Am 17.04.2016 starte ich in meiner Geburtsstadt Dessau und mache mich erneut zu Fuß auf den Weg. Mein diesmaliges Ziel ist das 2.800Km entfernte Santiago de Compostela - das Ziel des Jakobsweges. Vor mir liegen 6 Monate Fußmarsch.

Es war sehr schön die letzten 4 Jahre durch 13 Länder zu reisen, die Kulturen kennenzulernen und den Geschichten der Menschen zuzuhören. 
Diesmal werde ich auf dem Weg nach Spanien auch sehr lange durch Deutschland reisen. Ich bin gespannt auf die Menschen, welchen ich begegnen und die Geschichten, welche ich hier erfahren werde. Der Weg führt mich quer durch Mitteldeutschland  von Sachsen-Anhalt nach Thüringen, Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland. 
Ich bin gespannt, wie das Reisen im eigenen Land ist und wie die Menschen mich aufnehmen.

Und noch etwas Spannendes gibt es auf dieser Reise. 
Ich werde nicht allein gehen. 
Begleitet werde ich von Jemandem, der unterschiedlicher nicht sein kann. 
Sie heißt Madeleine, ist 28 Jahre alt und Studentin. 
Ihre Interessen lagen bisher eher im denksportlichen Bereich. Anfang diesen Jahres entdeckte sie ihre Begeisterung fürs Joggen. Die Laufstrecke von 10km absolvierte sie nach 3 Monaten Training bereits ohne Pause. Nun hat sich Madeleine eine sehr große Herausforderung gesucht und begleitet mich auf den vor uns liegenden 2.800 Kilometern quer durch Deutschland, Frankreich und Spanien. 
Mit wenig Erfahrung auf dem Gebiet der Rucksack-Reisen - genau so wie ich damals gestartet bin. 
2 Personen gehen den selben Weg. 
Es wird spannend zu lesen sein wie sie dem Weg wahrnimmt.

Madeleine hat eine eigene Seite und Ihr könnt ihr hier folgen: 

Wir freuen uns, wenn Ihr uns während der nächsten 6 Monate begleitet. 

Long trail Home - Home is where the story begins. 

Samstag, 31. August 2013

5000Km - The making of...


Ich sitze auf einem Hügel. Vor mir das unglaubliche Panorama Kappadokiens. Eine der schönsten Naturlandschaften die ich je in meinem jungen Leben sehen durfte.
Neben mir eine Zahl. Eigentlich haben Zahlen nichts besonderes an sich.
Doch diese Zahl ist anders. Es steckt so viel mehr dahinter
Auf dem Boden steht geschrieben: 5000Km.
Zusammengesetzt aus 529 Steinen. 1 Stein für jeden Tag dieser Reise.
In mir kamen so viele Erinnerungen wieder auf als ich diese Zahl zusammensetzte. Die Reise lief im Zeitraffer vor meinem inneren Auge ab. Ich sah die guten Momente, und auch die anderen, die weniger guten.

Wie ich hier hergekommen bin?
Improvisation.
Ich hatte keinen Plan, sah Länder welche ich vorher noch nie bereiste (und über die ich wenig bis garnichts wusste), und traf Menschen welche ich vorher nicht kannte.

Es war ein kalter morgen im März 2012.
Ich stehe mit gepackten Rucksack am Isartor und setze den ersten Schritt zu dieser unglaublichen Reise.
Ich war innerlich zerrissen. Zum einen war in mir die unglaubliche Freude und Neugier auf das was nun kommen wird, zum anderen war da die Angst was alles passieren könnte und all die Dinge die ich zurückließ. Einen tollen Job, Freunde und Familie, "Sicherheit".
Ich war unsicher. Sehr sogar.
Kann man das schaffen? Ohne einen Cent in der Tasche von München nach Tibet laufen?
Alles was bisher in meinem Leben geschehen ist, oder was ich bis dahin erreicht habe, war mit einmal bedeutungslos.
Ich stand wieder bei 0. Ein neuer Anfang.

Als ich mich auf den Weg machte hatte ich keine Ahnung was ich tat. Wie ich sagte, hatte ich keinen konkreten Plan. Bis heute nicht.
Und das ist großartig. Hätte ich einen Plan, wüsste ich was möglich ist und was nicht.
Doch wenn man nicht weiß das etwas unmöglich ist, sind die Dinge viel einfacher...
(Nach den Gesetzen der Physik können Hummeln eigentlich garnicht fliegen. Sie wissen das nur nicht. Und darum tun sie es einfach.)

Ich hatte mir ausgesucht etwas zu unternehmen das so speziell ist, dass ich es jetzt tun musste. Weder früher, und auf keinen Fall später.
Eines Tages wacht man auf und es ist keine Zeit mehr um all die Dinge zu tun die man gern getan hätte.
Der Traum in mir war noch frisch und voller Begeisterung. Wäre ich dem Ruf nicht gefolgt hätte ich meine Träume verraten, und hätte mir dann immer die Frage gestellt: Was wäre wohl gewesen wenn ich es gewagt hätte...
Träume die man hat, sie jedoch nicht umsetzt, werden zu einem Fluch. Sie rauben Energie. Man sieht den besseren Weg, geht jedoch den einfachen, den bekannten Weg.
Viele Menschen kennen ihre Träume sehr genau, oder kannten sie zumindest für einen Augenblick. Doch sie hatten nicht den Mut ihrem Herzen zu folgen. Und alles was sie jetzt tun ist: Tagaus, tagein die gleiche Arbeit nur um genug Geld zu verdienen damit sie genau dort bleiben können wo sie gerade sind.

Ich bin also meinen Träumen gefolgt und machte mich auf die Reise.
Und ich hätte keine geeignetere Fortbewegung wählen können als das laufen.
In gewohnter Umgebung bin ich langsam in diese Reise hineingewachsen.
Hat man mich am 1sten Tag gefragt, wie ich denn in Rumänien oder Bulgarien überleben will, ohne Geld und ohne die Landessprache zu kennen, hab ich ganz klar gesagt, dass ich dies nicht weiß. Ich wusste es zu diesem Zeitpunkt nicht.

In Deutschland und Österreich hatte ich Gelegenheit zu trainieren auf fremde Menschen zu zugehen, bevor ich in der Slowakei, Ungarn usw. auf die ersten Sprachprobleme traf.
Doch als diese dann auftraten hatte ich bereits das nötige Selbstbewusstsein antrainiert, dass ich nach kurzen Anlaufschwierigkeiten recht leicht damit fertig wurde.
Der Alltag dieser Reise lehrte mich jeden Tag etwas neues.

Ich ging also hinaus in die Welt. Ich lief, und jeh weiter ich lief, desto mehr lernte ich, und desto besser wurde ich in dem was ich tat.

Mir blieb jedoch wenig erspart. Reisen ist nicht immer nur romantisch. Die Strapazen waren teilweise enorm. Schlafmangel, Überanstrengung, Hoffnungslosigkeit, Entmutigung, Verzweiflung, Einsamkeit und Hunger...
Manchmal wollte ich etwas mit aller Anstrengung erreichen. Ich wollte es zu sehr, und genau in dem Augenblick. Ich verkrampfte und war nicht mehr natürlich. Dies waren oft die Momente in denen sich alles genau in die andere Richtung entwickelte. Weit weg von meinem erklärten Ziel.
Erfahrung war das was ich bekam wenn ich nicht bekam was ich eigentlich wollte.

Viele Menschen welche ich entlang des Weges traf gaben mir Tipps mit auf den Weg. Heute wünschte ich, ich hätte diese gut gemeinten Ratschläge früher befolgt.
Den besten Tipp bekam ich bereits am 6. Tag.
"Was du machst ist großartig. Genieße die Reise."
Doch ich tat es nicht. Der beste Ratschlag, und ich hab ihn lange Zeit ignoriert. Stattdessen machte ich mir Sorgen, wohin ich heute gehe, wo ich schlafen und was ich essen werde. Sorgen über das nächste Land, die nächste Idee oder was ich als nächstes im Blog schreiben werde. Das war lange Zeit kein Spass und ich wünschte heute ich hätte es mehr genießen können. Es war eine schöne Zeit. Doch ich verpasste vieles da ich gedanklich damit beschäftig war was als nächstes kommen, oder was alles schieflaufen könnte, anstatt den Moment der Reise zu genießen. Ich legte am Anfang sehr große Tagesdistanzen zurück, und alles nur weil ich darauf fixiert war schnell an dem mir gesetzten Ziel anzukommen.
An vielen schönen Momenten bin ich vorbeigelaufen ohne sie wahrzunehmen.
Wenn man zu schnell läuft verpasst man nicht nur die schönen Momente und vieles was um einen herum geschieht, man verliert auch das Ziel aus den Augen und vergisst den Sinn des Reisens...
Das war am Anfang die schwerste Lektion die ich lernen musste - Loslassen und genießen.
Ich weiß, es klingt so einfach. Und doch ist es so schwer umzusetzen. Und am Ende war es wiederum einfacher als ich es mir vorstellte...

Wenn ich heute zurückblicke hatte ich eine wunderbare Reise. Atemberaubend.
Ich lernte das Reisen, durch das Reisen. Ich tat alles was Spaß machte, und solange wie es sich wie ein Abenteuer anfühlte. Wenn es sich wie Arbeit anfühlte hörte ich damit auf, und überlegte ob es noch das ist was ich wirklich tun möchte.
Was nicht heißt das diese Reise nicht ab und zu arbeit ist.
Ich hätte z.Bsp. nie gedacht das ich einmal im Internet einen Blog schreiben würde. Um die Wahrheit zu sagen: Ich hasse es. Schreiben gehört nicht zu meinen stärken. Ich tu mich sehr schwer mit dem finden von Worten. Dinge zu beschreiben, die ohne Wörter viel schöner sind, gehört nicht zu meinen Talenten.
Aber wer weiß wozu es gut ist.

Ich lernte mit Fehlschlägen umzugehen und bekam eine dickere Haut was Ablehnung betrifft. Die Probleme der Fehlschläge sind schwierig.
Noch schwieriger kann es jedoch sein mit Erfolg umzugehen.
Vor der Reise wollten mir viele das Vorhaben ausreden. Als es dann sehr gut lief kamen Kommentare, dass das was ich mache dumm, egoistisch schlicht und ergreifend falsch ist und es bereits von vielen vorher schon gemacht wurde...

Kommen wir zum schönen Teil. Ich hatte auf dieser Reise so viele unglaublich schöne Momente. Momente die mich alle Anstrengung und Strapazen vergessen ließen und mir die Gewissheit gaben das es das alles Wert war. Ohh, weit mehr als das.
Ich durfte Dinge sehen, erleben und fühlen die ich mir vorher nicht erträumen konnte.
Unterschiedlichste Kulturen durfte ich kennenlernen und hautnah erleben.
Ich sah wunderschöne Orte die vorher weit meiner Vorstellung waren, ich traf Menschen und Familien welche mich aufnahmen und mit denen ich eine unvergessliche Zeit verbrachte. Menschen die mich zum nachdenken brachten und mir andere Sichtweisen aufzeigten. Ich weiß dass viele die dies hier lesen mich persönlich kennen.
Und mein ganzer Dank gilt Euch.

Und worauf ich am meisten stolz bin: Ich durfte Situationen erleben, Dinge lernen und als Person wachsen.
Und das ist für mich die größte Belohnung.
Ich reise nicht damit die Welt mich sieht, ich reise weil ich die Welt sehen möchte und um Euch ein wenig von der Schönheit dieser Welt näher zu bringen.
Ich bin so unendlich dankbar das ich diese Reise machen darf und das ich so weit gekommen bin um dies zu erleben.
Ich möchte keinen Tag missen.

Doch auch mit all der Erfahrung welche ich bisher gesammelt habe kann ich nicht Vorhersagen was als nächstes geschehen wird.
Eine Garantie gibt es nicht. Der Preis für die Freiheit ist das ungewisse. Wenn alles berechenbar wäre, würde das bedeuten dass die Zukunft bereits feststeht. Doch dann wären wir nicht frei.
Freiheit gibt es nur für den Preis der Unberechenbarkeit.
Und das ist das Leben...

Ich sitze auf einem Hügel, neben mir eine Zahl...
Die Sonne geht langsam unter, es ist schwer die Zahl hier so zurückzulassen. Nach all der Arbeit die drin steckt.
1 Stein für jeden Tag dieser Reise.
Warum hab ich das gemacht?
Um Euch 2 Sachen zu zeigen:

1.) Ich hab viel Freizeit... :)

2.) Es ist wie bei einem Puzzle. Als nur 1 Stein auf dem Boden lag konnte noch niemand ahnen was das am Ende werden wird.
Auch als 20, 30 oder 50 Steine dort lagen war es immernoch nur sehr schwer zu erkennen.
Doch mit jedem weiteren Stein wurde das Bild deutlicher.

Und so ist es mit dieser Reise. Am 1. Tag hatte ich keine Ahnung was ich tat oder wo mich diese Reise einmal hinführen wird. Auch nach 20, 30 oder 50 Tagen hatte ich keine Ahnung wie sich diese Reise verändern wird und wie sie mich verändern würde...
Dann, mit jedem weiteren Tag, wurde das Bild immer deutlicher sichtbar. Das Leben ist eine Reise von einem Tag zum nächsten...
Die 5000Km sind entstanden weil ich 1nen Fuß vor den anderen gesetzt habe. Ein Tag nach dem anderen.

Wie es nun weiter geht?
Nach Osten, immer weiter nach Osten.
Bis zum nächsten Dorf sind's noch 6Km.
Also Rucksack wieder aufgeschnallt und los geht's.
Ein Schritt nach dem anderen...



Montag, 15. April 2013

Soma - 3331Km - Aufgeben...

März, April 2013
Soma - 3331Km

Ich weiß nicht wo in anfangen soll. Es ist viel geschehen in den letzten Wochen. Sowohl in der realen, als auch in der virtuellen Welt.
Beginnen möchte ich mit der virtuellen Welt.

Auf Facebook sind einige Kommentare aufgetaucht welche mich persönlich sehr verletzt haben. Lange Zeit wusste ich nicht damit umzugehen. Ich war sowas von sauer und tief verletzt.
Zuerst war ich versucht sofort einen bösen Kommentar zurück zu schreiben. Doch dies hätte die "Probleme" keinesfalls gelöst, allenfalls verschlimmert. Auf einen bösen Kommentar folgt der nächste, die Situation schaukelt sich hoch.
Also schrieb ich keine Antwort und dachte einige Zeit über die Situation nach.

Und mir wurde etwas klar.
Ich habe versucht es allen recht zu machen. Jedoch habe ich bald bemerkt dass dies nicht geht.
Es wird immer Menschen geben die mich kritisieren.
Und daran ist nichts schlechtes.
Wir brauchen diese Menschen um zu wachsen. Dazu sind sie da. Sie müssen kritisieren.
Als die ersten negativen Kommentare auftauchten habe ich mich sehr darüber aufgeregt.

Es war für mich so als wenn man sich Gäste einläd, und sich die größte Mühe gibst. Man richtet alles schön her und kocht das beste Essen das man je zustande gebracht hat. Und einer der Gäste sagt "Das schmeckt fürchterlich."
Sowas tut weh.

Jetzt weiß ich dass diese Menschen kritisieren müssen, es ist quasi ihr Job.
Je erfolgreicher man wird, desto mehr Kritiker hat man. Jedes erfolgreiche Unternehmen weiß das.
Ich lebe wesentlich besser wenn ich mich damit abfinde als wenn ich versuche die Kritiker zu bekehren.

Ich habe für mich entschieden nicht mehr auf diese Menschen zu hören und mich nur noch auf die Menschen zu konzentrieren die aufrichtiges Interesse an meiner Reise haben und die Botschaft positiv aufnehmen.

Ich glaube an das gute in jedem Menschen und sage mir: "Wenn jemand gerade nicht seine gute Seite zeigt, so braucht dieser Mensch einfach nur etwas mehr Zeit. Vielleicht ist er selber gerade verletzt worden oder hatte gerade eine negative Situation erlebt und gibt seinen Frust einfach nur weiter. Ich kenne die Geschichte des Menschen nicht warum er in diesem Moment so reagiert hat.
Wenn man ihnen etwas mehr Zeit gibt und lange genug wartet, werden einen die Menschen fast immer positiv überraschen und beeindrucken. Wenn dich jemand verletzt hat und du auf ihn sauer bist, dann hast du ihm einfach nicht genügend Zeit gegeben. Warte noch etwas länger."

Wenn man sich in der Öffentlichkeit äußert, wird man immer Menschen antreffen die einem zustimmen, und es wird Menschen geben die dagegen sind.
Nie wird es einem gelingen alle positiv zu stimmen. Daher versuche ich es erst garnicht.
Wenn ich schon vor der Reise nur auf diejenigen gehört hätte die gesagt haben "Das geht nicht...", dann hätte ich diese Reise nie angetreten.
Der erste Schritt war der schwerste. Danach lief alles wie von selbst...

Wenn Du nur noch wenige Tage oder Wochen zu leben hättest...
Würdest Du eine Reise so genießen wie Du es wolltest, oder würdest Du das tun was andere Menschen meinen das richtig oder besser wäre?

Ich bin auf dem Weg nach Tibet. Zu Fuß.
Und ich weiß dass ich eines Tages auch dort ankommen werde.
Wann, das weiß ich nicht. Vielleicht in 3,4 oder 5 Jahren.
Es ist nicht mein Ziel so schnell wie möglich in Tibet anzukommen. Wenn dem so wäre, hätte ich das Flugzeug, den Zug oder das Auto als Fortbewegungsmittel gewählt.

Am Anfang der Reise ging ich davon aus in ca. 2 Jahren in Tibet anzukommen.
Schließlich müsste ich ja anschließend wieder zurück nach Deutschland um wieder zu arbeiten, Geld zu verdienen und ein "normales" Leben zu führen.
So meine Gedanken vor der Reise.

Doch es ist genau das ist was ich im Moment tue, ICH LEBE!
Jetzt!
Ich will die Reise nicht so schnell wie möglich hinter mich bringen.
Diese Reise ist mein Leben. Und es ist daher völlig nebensächlich wie lange sie dauert.

Hierzu die kurze Geschichte von Heinrich Böll aus dem Jahre 1963:

http://www.lichtkreis.at/html/Gedankenwelten/Weise_Geschichten/der_zufriedene_fischer.pdf

Ich lebe jeden Tag als wäre es mein letzter. Die Zeit mit den Menschen um mich herum verbringe ich so, als wenn ich sie für eine lange Zeit nicht wiedersehen würde.

Das Leben findet immer nur im jetzigen Moment statt. Es ist nicht notwendig zum nächsten Moment zu hasten, in der Hoffnung das der nächste Moment in irgendeiner Weise besser ist als der derzeitige.

Einige glauben dass ich der Zufriedenheit erlegen bin und die Reise aus Angst vor dem was kommt abbrechen werde. Warum?
Diese Reise ist wie ein spannendes Buch für mich. Ich habe bereits so viele schöne Dinge gesehen und erlebt. Und immer wurde die Geschichte noch besser und interessanter für mich. Es kommt bald wieder das Meer, Fethiye, Antalya, Konya, Kappadokien...
Und ich freu mich jetzt schon wie Schnitzel auf den Iran und Indien...
Ich werde diese Reise nun nicht in der Mitte abbrechen. Ich werde weiter lesen und will wissen wie die Geschichte ausgeht.
Ich habe im letzten Jahr so viel erlebt, und mir ist klar das sich nun im 2ten Jahr mindestens genau so viel ereignen kann.

Ich glaube das Menschen immer exakt zu der Zeit an dem Ort ankommen an dem sie erwartet werden.
Warum nicht die Freuden die uns das Leben schenkt voll auskosten?
Es ist nichts Böses glücklich zu sein.

Jim Croce muss das gewusst haben als er den Song "Time in a bottle" schrieb. Er verstarb im Alter von 30 Jahren bei einem Flugzeugabsturz.
...but there never seems to be enough time to do the things you want to do once you find them... (Jim Croce - Time In A Bottle)

Unsere Zeit hier auf der Erde ist begrenzt. Jeder wird früher oder später sterben. Wann? Das weiß niemand.
Ich möchte die Zeit zwischen Geburt und Tod genießen. Und ich glaube daran dass wir das Glück nur im jetzigen Augenblick finden. Nicht in irgendeinem Moment in der Zukunft.


Ich war nun 5 Wochen in Soma und unterrichtete an einem privaten College Deutsch, English und Sport.
Und das obwohl ich nie eine Ausbildung in dieser Richtung abgeschlossen habe.
Ich habe eine Arbeit gefunden bei der ich Spaß habe und dabei noch Geld verdiene. Ich wollte die Gelegenheit nutzen und Erfahrungen sammeln und sie nicht sofort wieder hinschmeißen und weiterziehen. Ich mache das jetzt weil es mir Freude macht und weil ich das tun möchte.
Wenn mir vor 5 oder 10 Jahren jemand gesagt hätte dass ich mal als Lehrer arbeiten werde hätte ich ihn wahrscheinlich für verrückt erklärt.
Irgendwie verschaffen uns unsere Fähig- und Fertigkeiten immer einen Platz in dieser Welt.
Das ist das faszinierende an der Reise: Du weißt nie was hinter der nächsten Ecke auf Dich wartet. Und daher wird es auch nicht langweilig.

Ich genieße die Zeit hier sehr. Viele junge Menschen um mich herum, junge Ideen.
Viele Fragen. Kinder stellen die besten Fragen. Sie haben es noch nicht verlernt zu fragen.
Je älter man wird, desto leichter denkt man auf alles bereits eine Antwort zu haben: "Ist halt so, das war schon immer so."
Doch Kinder fragen: Warum gibts Krieg, wieso rotten wir alle Tierarten aus, woher kommt das Geld und wie lebst du ohne Geld. Eine großartige Gelegenheit um die "selbstverständlichen Dinge" in frage zu stellen und darüber nachzudenken.

Hier im College kommt mir die Reise sehr zu gute.
Ich weiß mittlerweile sehr wohl wie schwer es ist eine neue Sprache zu lernen. Immer wenn ich in ein neues Land komme geht es von vorn los.
Die Schüler hier können allesamt sehr gut englisch und deutsch schreiben. Das ist es was sie jeden Tag lernen: Grammatik. Und Grammatik ist wichtig um die schriftlichen Tests zu bestehen.
Aber wenn man sie fragt ob sie englisch oder deutsch sprechen bewegen sich die Köpfe von links nach rechts und umgekehrt.
Wenn wir geboren werden und aufwachsen lernen wir das sprechen von unseren Eltern und von anderen Kindern.
Die Münder bewegen sich, wir verstehen zunächst nix, bis wir irgendwann anfangen die Laute die wir hören nachzusprechen.
Mit 6 Jahren können Kinder schon perfekt sprechen.
Erst dann lernen sie in der Schule lesen und schreiben.
Die 12 Klässler lernen ebenfalls seit 6 Jahren englisch. Können aber nicht sprechen. Warum?

Es ist das verhalten der Schüler gegenüber anderen Schülern.
Als ich am Anfang vor 5 Wochen in die Klassen kam und mit einigen Schülern englisch sprechen wollte, lachten die anderen Schüler über diejenigen welche versuchten mit mir englisch zu sprechen. Sicher war die Aussprache nicht korrekt und es hat lange gedauert bis der erste Satz herauskam. Doch genau das ist der Grund warum die Schüler so schüchtern sind. Sie haben Angst "Fehler" zu machen, und davor von anderen ausgelacht zu werden.

Das gleiche setzte sich in anderen Klassen fort. Die Schüler lachten immer über die anderen welche versuchten English zu sprechen, wozu ich sie ja aufforderte.
Indirekt lachten sie also mich aus. Ich sage sprecht English, und sie lachen diejenigen aus die es tun.
Das wollte ich nicht akzeptieren.
Ich wollte sie nicht gegen mich sondern für mich gewinnen.
"Hört auf, andere auszulachen die Fehler machen.
Das ist der Grund warum sich keiner traut englisch zu sprechen. Weil sie denken dass sie dann von den anderen ausgelacht werden.
Wir können Spaß haben, eine ganze Menge sogar. Aber nicht auf kosten anderer.", sagte ich freundlich aber bestimmt.
Anschließend ging's voran. Die Arme gingen hoch und die Fragen kamen. Vereinzelt und immer noch zögerlich. Doch der Anfang ist gemacht.
Wie bringen wir nun Spass in die ganze Sache?

Das schöne wenn man eine Sprache lernt: Man braucht keine komplizierten Formeln. Man muss sich einfach nur unterhalten. Ganz egal worüber. Über das letzte Wochenende, den kommenden Sommer, den lieblings Kinofilm etc.
Manche Schüler spielen Instrumente und bringen diese mit.
Sie erklären den anderen Schülern wie das Instrument gespielt wird.
Wir spielen Jenga und Monopoly. Und immer sprechen wir nebenbei englisch. Wenn jemand ein Wort nicht weiß helfen die anderen Schüler weiter.
Lernen muss Spaß machen. Dann lernen wir am schnellsten. Wenn die Schüler etwas gerne tun, reden sie auch gerne darüber. Und alle anderen hören zu.
Das meiste was die Schüler, denke ich brauchen, ist jemand der ihnen zeigt wozu sie fähig sind.

Vielleicht ist das der Schlüssel um die Schüler zum sprechen zu animieren.
Wenn keiner mehr über sie lacht wenn sie Fehler machen dann haben sie vielleicht den Mut neue Dinge auszuprobieren, zu sprechen etc.
Fehler sind gut. Nur aus Fehlern lernen wir.
Wer seine Angst vor Fehlern oder einer Blamage verliert, wächst.
Und die Schule ist der perfekte Ort um so viele Fehler wie möglich zu machen.
Wer keine Fehler mehr macht hört auf zu wachsen.

Auch ich mache Fehler. Viele Fehler. Fehler gehören zum Leben dazu. Deswegen werden wir nicht zu schlechteren Menschen. Nicht wenn wir nicht gram sind und uns selber verzeihen können.
All die Dummheiten welche wir in unserem Leben getan haben. Dann sind wir frei von Ballast. Und offen für neue Dinge, und neue Fehler...
Wir sind Menschen, keine Maschinen. Ich mache Fehler. Fehler sind gut.

So lehre ich die Sprache. Durch sprechen. Schüler lernen sehr schnell - durch nachahmen und imitieren. Genau wie ich wenn ich ein neues Land betrete, genau so wie Babies wenn sie auf die Welt kommen.
Es macht mir großen Spass mit den Kindern und den Studenten zusammen zu arbeiten und ihre Fortschritte zu sehen, ähm - zu hören.
Auf der anderen Seite: Wenn sie die Sprache gut sprechen können, werden nebenbei auch die schriftlichen Noten besser. Ich will ihnen nur das sprechen beibringen. Doch natürlich lernen sie nebenbei die Sprache und somit auch die Grammatik etc.

Nie zuvor war ich so lange an ein und dem selben Ort, umgeben mit den selben Menschen.
Mir gelang es in den letzten 5 Wochen von vielen das Vertrauen zu gewinnen und so auch teilweise sehr tiefe einblicke in ihr Leben und ihre Kultur zu gewinnen.

Viele Nächte haben wir zusammen gesessen und uns unterhalten.
Da gibt es zum Beispiel den Jungen aus dem Osten der Türkei dessen Familie dicht an der Grenze zu Syrien lebt.
Er war schon länger nicht mehr zu Hause, weil es zu gefährlich ist.
Oder der Austauschschüler aus Somalia. Seit 2 Jahren lebt er nun in der Türkei. 1 mal hat er zwischendurch seine Familien in Afrika besuchen können. 1ne Woche lang. Sein vertrautes Umfeld fehlt ihm sehr.
Seine Familie ist froh und stolz auf ihren Sohn dass er ein College besuchen kann.
Und so gut es ihm hier auch geht, alles was er im Moment möchte, ist bald wieder nach Hause zurück zu kehren, zurück zu seiner Familien und seinen Freunden.

Ich habe die Freiheit nach Deutschland zurück zu kehren wann immer ich will. Die Möglichkeit dass mir dort eine Bombe auf den Kopf fällt ist relativ gering.
Nicht alle Menschen haben diese Freiheit.

Und nebenbei ist ein College ein wunderbarer Ort um neue Dinge zu lernen. Das schöne daran wenn man anderen etwas lehrt: Man lernt selber am meisten.
So habe ich unter anderem auch mein türkisch weiter verbessert. Nach Ungarisch, Rumänisch, Bulgarisch, nun die 5. Sprache...

Wenn ich mir die Karte anschaue habe ich mich in den letzten 5 Wochen kaum von der Stelle bewegt.
Jedoch habe ich in den letzten Wochen mehr gelernt als in dem gesamten 1sten Jahr.

Die Reise geht morgen weiter. Ich nutzte lediglich die derzeitige Gelegenheit um etwas zu arbeiten, Geld zu verdienen und neue Erfahrungen zu sammeln.

Es wird schwer für mich sein dies hier wieder aufzugeben, mich von so vielen neuen Freunden wieder zu verabschieden und weiter zu ziehen. Doch ich tue es gern.
Was wäre die Alternative?










Dienstag, 12. März 2013

Tag 292 - 299: Iznik


Tag 292 - 299
40° 25′ 45″ N, 29° 43′ 16″ E
2972Km - Iznik.
Mittwoch, 26.12.2012 - Mittwoch, 02.01.2013

1. Auf dem Jakobsweg

"Dort musst du unbedingt hin", sagte Faik, und holte eine Landkarte hervor welche er auf den ganzen Tisch ausbreitete. Er zeigte mit dem Finger auf ein kleines Städtchen mit dem Namen "Iznik", unweit von meinem derzeitigen Standort.
Er erzählte mir so bildhaft von diesem kleinen Städtchen am See, als ob er es mit seinen eigenen Händen aufgebaut hatte.
Da beschloss ich, einen kleinen "Umweg" in Kauf zu nehmen, mir das selbst anzuschauen und mich alsbald auf den Weg zu machen.
Der Herr, welcher mich zum Essen eingeladen hatte, verabschiedete sich, und sagte er müsse wieder zurück an die Arbeit. Auch ich stand auf und setzte meinen Weg fort.

Wenn man mit so einem großen Rucksack reist, nehmen einen die Menschen wahr und man bekommt viele Tipps, was man auf jeden Fall sehen und nicht verpassen sollte.
So ergab es sich, dass ich von Orhangazi nicht direkt nach Bursa ging, sondern erst noch einen kleinen Schlenker nach Iznik machte.

Soviel schonmal vorweg, der Weg hat sich gelohnt. Iznik ist definitiv eine Reise wert.
Noch nie zuvor habe ich so einen kleinen Ort gesehen in dem es, auf so engem Raum, so viel zu sehen gibt.

Allein der Weg dorthin ist malerisch. Kleine verschlafene Dörfer, Olivenbäume welche sich bis zum Horizont erstrecken, und ich glaube sogar noch bis weit dahinter. Da sich die Landschaft für Stunden nicht verändert, schweifen die Gedanken ab.
Ich dachte an den Jakobsweg, wo die Landschaft zeitweise sehr ähnlich dieser hier war...

Ich verliere mich in Erinnerungen, denke an den beschwerlichen Aufstieg in den Pyrenäen, die Dürre, die vertrockneten Felder und das grüne Galizien.

Ich sah die unvergessliche Ankunft in Santiago erneut vor meinem inneren Auge.
Erinnere mich noch genau wie es war, als ich den Duft in der Kathedrale roch und den Nonnen beim singen zuhörte.
Damals stiegen mir vor Freude Tränen in die Augen.
Ich dachte an das unverhoffte Wiedersehen in Santiago mit vielen Freunden welche wir kennengelernt haben und den guten Wein den es überall in Spanien gibt.

Und ich erinnerte mich, an einen Tag, ganz zu Beginn der Pilgerreise, in Saint-Jean-Pied-de-Port, einem 66 Jahre alten Mann begegnet zu sein, welcher in Linz, seiner Heimat, gestartet ist und bereits seit mehreren Monaten, mehr als 3.000Km zu Fuß unterwegs war.
So etwas schien zu diesem Zeitpunkt für mich unmöglich zu sein.
Angesichts dessen, dass ich gerade erst gestartet war, und der "ganze" Weg noch vor mir lag, fühlte ich mich damals sehr klein.
"Mit 66 ist es an der Zeit etwas verrücktes zu tun", scherzte er.
Vielleicht war es dieser fröhliche, jung gebliebene alte Herr welcher mir diesen Tritt verpasst hat und mich überlegen lies, das alles möglich zu sein scheint wenn man sich ein Ziel setzt und es ganz fest will.
Wenn er es in seinem Alter schafft, dann kann ich dies ebenfalls. Ich wollte nicht bis 66 warten, und fand, 31 ist auch ein gutes Alter um etwas verrückt zu sein.
Vielleicht war er es...
Jedes Leben, jede Begegnung mit einem anderen Menschen hinterlässt Spuren.
Meistens erfahren wir es nie...

Während diese Tage in Spanien gab es nur "den Weg" vor uns, und er hatte mich beinahe vergessen lassen, das es noch ein anderes Leben gibt, in das ich, nach der Ankunft in Santiago, wieder zurückkehren werde. Der Weg war zu einer einzigartigen Erfahrung geworden. Alles andere war unwichtig und sehr weit weg. Oder war ich es der weit weg war?

Ein lautes knattern reist mich aus meinen Gedanken und stört die Ruhe auf der sonst Autofreien Landstraße.
'Ich wäre gern noch länger in Gedanken gewandert', dachte ich.
Vater und Sohn sind gerade mit dem alten Traktor auf dem Weg zur Olivenernte.
Ich komme nicht drumrum ihnen mit einem Lächeln ein "Buenos dias" und "Buen Camino" zu wünschen. Sie blicken mich völlig verdattert an. Ich hätte genauso gut einen Handstand vor ihnen machen können...
Ich lachte in mich hinein und dachte nur: "Wer wird jeh einen Menschen ernst nehmen der alles hinter sich lässt um nach Tibet zu laufen?"



2. Weihnachten mit einem Buddha

Der Tag war nun schon ziemlich vorangeschritten und die Sonne würde bald hinter den Olivenbergen verschwinden.
Da die 47Km, von Orhangazi nach Iznik, für 1nen Tag zu weit waren, suchte ich, irgendwo in der Mitte der Strecke, nach einer Übernachtung.

Ein Mann verlässt soeben sein Haus. Er ist auf dem Weg zum Markt um noch ein paar Dinge zu besorgen welche er dringend benötigt. Er wollte dies bereits gestern erledigen, hat es jedoch aus Bequemlichkeit vor sich her geschoben.
Als er gerade in sein Auto einsteigen wollte, sieht er einen Herren mit einem Rucksack vorbeiziehen.
'Er ist sich sicher auf dem Weg nach Iznik', denkt er. 'Dieser Ort ist bei Touristen sehr beliebt, jedoch nicht jetzt zu dieser Jahreszeit. Es ist Ende Dezember und niemand verirrt sich jetzt dorthin'.
Verwundert beschließt er der Sache nachzugehen und spricht mich an.

"Hello my friend", ruft er mit tiefer Stimme.
Wir gehen aufeinander zu.
Er strahlt eine unbeschreibliche Gemütlichkeit aus und erinnert mich an einen Buddha.
"Bis Iznik wirst Du es heut nicht mehr schaffen. Die Sonne verschwindet in ca. 1h hinter den Bergen", sagt der Mann der sich mir als "Varuc" vorstellt.
Eh ich etwas sagen kann fährt er fort:
"Was machst Du allein mit dem komischen Ding auf Deinem Rücken in dieser verlassenen Gegend?"
Ich fange an, ihm kurz von meiner Reise zu erzählen.
Er unterbricht mich freundlich.
"Klingt unglaublich! Würd so gern mehr davon erfahren. Ich will nur grad im Markt ein paar Sachen besorgen. Wenn Du willst kannst Du mitkommen und heut Abend hier bleiben."
Gesagt, getan.

Etwas verwundert bin ich, als er im Markt sehr viele Kerzen kauft. 'Wozu brauchen wir die denn?', geht es mir durch den Kopf.
Als wir wenig später zurück im Haus sind ist es bereits dunkel. Nun sehe ich warum. Seit 2 Tagen gibt es hier keinen Strom.
Er schmeißt den Ofen an und schnell ist es angenehm warm. Kurze Zeit später gab es Abendessen, Fisch aus dem See den er am Vormittag selbst gefangen hatte.

Ich fragte ihn beim essen woher es käme das er fließend englisch spricht.
"In den 20 Jahren, in denen ich als Trucker durch die USA gezogen bin", fing er an zu erzählen, "habe ich einiges gesehen..."
Und er erzählte mir mit so einer Begeisterung von allen Orten wo er gewesen ist, und was er dort alles gesehen und erlebt hat, das Fotos garnicht nötig waren. (Diese sind auf dem PC, und ohne Strom läuft der leider nicht.)
Er möchte ebenfalls gern wieder reisen und sagt, dass die Fotos vielleicht eine schmerzliche Erinnerung für ihn gewesen wären. Wegen starken Rückenproblemen kann er seinen Job leider nicht mehr ausüben und kam deshalb in die Türkei zurück wo das Leben günstiger ist als in den USA.

Er ließt viel. Das ist seine neue Leidenschaft. Ich schaue mich durch sein Bücherregal durch, und entdecke einige Titel die ich ebenfalls bereits gelesen habe.

So endete der 2te Weihnachtsfeiertag für mich bei Candlelight Dinner und guten Gesprächen bis spät in die Nacht in einer warmen Hütte. Mitten im nichts, zwischen den Bergen, unweit vom See...

Am nächsten Tag geht es gut gestärkt um 10:30Uhr los.
Auf dem Tagesplan stehen die letzten 23Km bis nach Iznik.
Mein Rucksack war etwas schwerer denn Varuc hatte mir noch ein kleines Verpflegungspaket geschnürt.
Ein gerader, ebener Weg lag vor mir, immer weiter entlang der kleinen schmalen Landstraße welche den Linien des Sees folgt.

Nachdem ich einige Stunden gegangen war, merkte ich die Müdigkeit welche sich in der letzten Nacht angesammelt hatte. Doch ein Blick auf die Karte verriet mir, dass ich schon weiter gekommen war als ich dachte.
Da niemand in der Nähe war fing ich laut an zu singen.
Zum einen um wach zu werden, und zum anderen um für den nächsten Schulauftritt fit zu sein.
'An alles mögliche hab ich gedacht', dachte ich. 'Nur nicht daran Weihnachtslieder auf meinen mp3 Player zu spielen...'



3. Die 4 Wachmänner von Iznik

Als ich zum ersten mal aus der Ferne die alten Stadtmauern von Iznik sehe bin ich überwältigt. Ich betrete die Antik Romanische Stadt wenig später durch eines der 5 großen Tore.
Da der ganze Ort die Größe eines Vergnügungsparks hat, wundere ich mich lediglich über die fehlenden Kassenhäusschen.

Was hat Iznik alles zu bieten?
Eine Ayasofia, die grüne Moschee (das Wahrzeichen der Stadt), Kilometerlange Aquädukte, den See, an dem man wunderschön spazieren kann, 2 Hamam, jede menge Gräber da es hier in der Vergangenheit große Schlachten gab und natürlich die Stadtmauer die alles umgibt.

Wer Spaß daran hat Menschen bei der Arbeit zu zusehen, wird hier seine wahre Freude haben.

Iznik ist trotz der 7 Erdbeben, welche es in den letzten Jahrhunderten gegeben hat, sehr gut erhalten.
Archäologen sind täglich damit beschäftig, die durch die Erdbeben vergrabenen Teile der Stadt wieder an die Oberfläche zu bringen und aufwendig zu restaurieren.
Das ist besser als Fische in einem Aquarium zu beobachten.
Ich bin mir nicht sicher aber ich glaube einer von ihnen, der mit dem Cowboyhut, hatte eine Peitsche in der Seitentasche.
Vielleicht ein engagierter Animateur...

Auch ist Iznik wegen der Keramik sehr bekannt. Überall findet man kleine Geschäfte in denen Keramik von Hand gefertigt wird. Wenn man von den Archäologen noch nicht genug hatte kann man hier weiter Leute bei der Arbeit beobachten.

Eines Tages ging ich entlang der Stadtmauer spazieren. Die Kulisse erinnert mich sehr an ein aufwendiges Filmset. Es macht riesigen Spaß auf den Mauern und den alten Wachtürme herum zu laufen und sie von innen zu besichtigen.

Etwas verwundert war ich, als ich Rauch aufsteigen sah.
Ich war neugierig und wollte herausfinden woher dieser kam.
Inmitten der Ruinen entdeckte ich 4 Männer, welche um ein Lagerfeuer herum saßen, eine Pfanne im Feuer hatten und Wein tranken.
Ich war überrascht. Da sich in der Stadt kaum Touristen befinden habe ich nicht damit gerechnet hier, so weit außerhalb, Menschen anzutreffen.
Daher beschloss ich, sie eine Zeit lang aus der Ferne zu beobachteten.

Es war seltsam. Wie ein Film ohne Ton.
Was ich sah, sah ich ohne den Zusammenhang, ohne die Geschichte zu kennen welche dort erzählt wird.
Warum sie dort saßen weiß ich nicht, worüber sie sich unterhielten wusste ich auch nicht.

Als sie mich entdeckten riefen sie mich heran. Ich war zunähst erschrocken, fühlte mich ertappt.
Doch sie baten mich einfach sich zu ihnen zu setzen, und eh ich mich versehe wurde ich selber in diesem Film hineingezogen. 'Was für eine atemberaubende Kulisse', dachte ich.
Es verschlug mir den Atem. Es war, als wäre ich in der Zeit um 600 Jahre zurück versetzt. Das einzige was noch an die Realität erinnerte war unsere Kleidung und das klapprige Fahrrad.
Der Geist der alten Wachmänner, welche hier vor mehreren hundert Jahren das Tor bewacht haben, schien in diesen Männern weiter zu leben.

Ein Herr warf noch etwas Holz ins Feuer. Die Flammen loderten auf. Das Essen musste jeden Augenblick fertig sein.
Es war still. Zu hören war nur das knistern im Feuer und der Wind der durch die alten Mauern wehte.
Da wir keine gemeinsame Sprache sprechen verständigten wir uns nur mit Blicken.
Das hatte etwas geheimnisvolles.
Und obwohl wir kein Wort miteinander gewechselt hatten, verstanden wir uns ausgezeichnet.
Mehrere Stunden sitzen wir zwischen den alten Mauern, essen gemeinsam, trinken Wein und schauen schweigsam ins Feuer.
Vielleicht verstehen das nur Männer, doch ich fühlte mich in diesem Moment sehr wohl.



4. Silvester in Berlin

Nachdem ich mich verabschiedet habe, brauchte ich etwas Zeit um wieder in die Gegenwart zurückzukehren.
Ich laufe langsam vor mich hin. Wieder die Straße, der Wunsch lange durch den Ort zu gehen. Ich wähle den längst möglichen Weg um zu meiner Unterkunft zu gelangen.
Etwas, das an einem Baum angeschlagen ist, weckt meine Aufmerksamkeit. Ein Flyer besagt, dass die einzige Silvesterparty von Iznik, im Hotel "Berlin" stattfinden wird.

Jetzt muss man wissen das Silvester (genauso wie Weihnachten), in der islamisch geprägten Türkei ganz normale Tage sind und fast garnicht gefeiert werden. Wenn man nicht gerade in Istanbul oder einer anderen großen Stadt ist, gehen diese Feste fast komplett an einem vorbei .

Froh, eine Party gefunden zu haben und nicht allein feiern zu müssen, entschließe ich mich am Silvesterabend dort vorbei zu schauen...

Die Band spielte gerade das nächste Lied an. Alle waren verschwitz, fröhlich und ausgelassen.
Die Fröhlichkeit wirkte ansteckend.

Ich befand mich nun also allein auf einer Party, auf der ich niemanden kannte. Was für mich früher vielleicht unangenehm gewesen war, verschaffte mir nun ein großes Gefühl von Freiheit. Mich kennt ja auch keiner. Noch nicht.

Etwas zögerlich stelle ich mich zunächst etwas abseits der Menge an die Bar. Die Musik ist laut.
Ich schaue in den großen Raum voller fremder Menschen die mit den Köpfen dicht zusammen hängen um eine Unterhaltung führen zu können.
'Es wird schwer werden hier jemanden zu finden der meine Sprache spricht'.
Ich hatte ja keine Ahnung wie sich dieser Abend entwickeln würde...

"Where are you from?", hörte ich eine Stimme.
Ein Mann mittleren Alters, elegant gekleidet, mit Anzug und Krawatte stand plötzlich neben mir.
"From Germany", antwortete ich.
Gleichzeitig ging mir jedoch durch den Kopf, ob ich noch Deutschland sagen kann, nachdem ich das Land vor fast 1nem Jahr verlassen, und inzwischen 5 andere Länder durchquert habe.

Er stellte sich als der Besitzer des Hotels vor. Der Name kommt daher, da er und seine Frau lange Zeit in Berlin gelebt haben.
Wir hielten eine kurze Unterhaltung auf deutsch, ich beobachte ihn wie er sich etwas zu trinken bestellte. Es war kein Tee.
'Vielleicht sieht Allah Nachts nicht so gut', dachte ich verwundert. 'Oder er geht früh schlafen'.
Als er wieder zu seinen Freunden zurück wollte, nahm er mich am Arm, und bestand darauf, mich nicht alleine an der Bar zurück zu lassen, sondern mich mit an seinen Tisch zu nehmen.

Es hat viele Vorteile dass es nur 1ne Party in Iznik gibt:
Man trifft alle Persönlichkeiten an genau diesem Ort.
Ich sprach unter anderem mit dem Bürgermeister, welcher mich daraufhin gleich zu einem Fototermin für den nächsten Tag einlud. Auch dieser sprach etwas deutsch, und er erklärte mir, dass Berlin (Spandau) die Schwesterstadt von Iznik ist und er mind. 1mal im Jahr in Berlin sei. Ebenfalls kommen 1mal im Jahr Abgeordnete aus Berlin nach Iznik.
Er wollte dass ich mir Iznik ganz in Ruhe anschaue, weshalb er mir eine Unterkunft im Sportheim der Stadt gab. Dort durfte ich 1ne Woche lang bleiben.

Während der ganzen Zeit wird ausschließlich türkische Musik gespielt.
Ich brauche etwas um mich daran zu gewöhnen.
Das sehen die Herren am Tisch jedoch anders. Mit Handzeichen geben sie mir zu verstehen, dass es nun an der Zeit ist das Tanzbein zu schwingen.
Ich begebe mich mit ihnen vorsichtig auf die Tanzfläche. Ganz wohl fühle ich mich in dem Moment noch nicht.

Die Männer sehen, wie ich mich noch ungekonnt, und etwas verkrampft, zu der mir völlig neuen Musik bewege.
'Dem müssen wir helfen und Şikidim Şikidim beibringen', müssen sie wohl gedacht haben.
Schnell ist eine Linie gebildet, 2 Herren zu meiner linken, 2 zu meiner rechten, ich mittendrin. Die Aufregung war völlig umsonst, ich scheine es im Blut zu haben.
Die Schrittfolge ist selbst nach einigen Raki noch einfach zu beherrschen.
Als sie erkannten dass ich nun auf eigenen Beinen tanzen kann, lösten sie die Linie, auf und bildeten einen Kreis, ich wieder mittendrin.
Jetzt passieren merkwürdige Dinge.
Sie klatschen mir beim tanzen Geld auf die Stirn, was mir zunächst unangenehm war und ich nicht so recht wusste wie ich mich verhalten sollte.
Doch sie taten es nicht, weil bei mir auf der Stirn besonders viel Platz ist oder damit ich aufhöre und wieder verschwinde, nein, das ist türkische Kultur und wird bei allen so gemacht.

Doch das Geld behält man nicht, nicht alles.
Die Band zieht mehrmals vorbei und bekommt etwas, und wenn man andere gute Tänzer sieht bekommen diese ebenfalls etwas auf die Stirn.

Als ich die Party am Morgen verlasse, hatte ich noch ein plus von 20Lira. Höchststand zwischendurch waren 45Lira. Es war die erste Party in meinem Leben bei der ich mit Gewinn aus der Tür raus bin.

Das dicke Geschäft hat an diesem Abend die leicht bekleidete Bauchtänzerin gemacht.
Wobei sie garnicht viel getanzt hat. Wie das funktionierte habe ich jedoch noch nicht ganz verstanden.
Diesen Trick muss ich noch lernen...

Nach 1ner Woche setzte ich meine Wanderung wieder fort.
Ich genoss die Stille und Einsamkeit an einem Ort, der im Sommer sicher voller Menschen ist.
Langsam kam ich von 600 Jahren Vergangenheit wieder in die Gegenwart zurück...

...und ich bin sicher, die Ruinen von Iznik sollten nicht die einzige Spur bleiben welche die Römer auf meinem Weg nach Tibet hinterlassen haben...


Nachwort: Ich habe die 3.000Km Marke dann 2 Wochen später überschritten...

Falls dies ein Mann aus Linz lesen sollte, der im April 2009, im Alter von 66 Jahren den Jakobsweg gegangen ist (ich hoffe davon gibt es nicht so viele) möge er bitte mit mir Kontakt aufnehmen. Ihm ist dieser Blogeintrag gewidmet.

Wer zusätzlich noch mehr von der Geschichte dieses unglaublichen Ortes lesen will, findet auf Wikipedia einige Informationen:

http://de.wikipedia.org/wiki/%C4%B0znik















Montag, 11. März 2013

Tag 278 - 279: Das große vorsingen...


Tag 278 - 279
40° 46′ 0″ N, 29° 55′ 0″ E
2815Km - Kocaeli.
Mittwoch, 12.12.2012 - Donnerstag, 13.12.2012

Es ist erst 2 Wochen her das wir Istanbul verlassen, und den Asiatischen Kontinent betreten haben...
Mittwoch der 12.12.2012 war ein Tag welcher mir noch lang in Erinnerung bleiben wird...

Es ist gegen 16Uhr. Gamze ist gerade auf den Weg zur Schule als sie 2 merkwürdige Gestalten mit großen Rucksäcken auf sie zukommen sieht.
Sie ist schüchtern und spricht kaum englisch. Dennoch brennt sie darauf zu erfahren was die beiden machen. Nie zuvor in ihrem jungen Leben hatte sie so etwas gesehen.
Sie nimmt all ihren Mut zusammen und spricht uns an.
"Wenn ihr mit den großen Rucksäcken in die Schule wollt, die ist dort, da seit ihr gerade dran vorbei."

Da ihr Englisch sie bald verlässt, sie jedoch noch mehr von uns erfahren möchte, nimmt sie uns an die Hand und führt uns in die Schule.

Der Schulhof ist voll von Schülern. Sie stehen in Gruppen zusammen, unterhalten sich.
Im hinteren Teil des Schulhofs wird Volleyball gespielt.
Wir gehen an einer Gruppe von Schülern vorbei. Sie können ihren Blick nicht von uns abwenden, stecken lächelnd ihre Köpfe zusammen und tuscheln.
Was sie sich erzählen können wir nur vermuten...

Es geht sofort in die 2. Etage - Das Lehrerzimmer.
Dort finden wir ihre Englischlehrerin.
Ihr erzählen wir ausführlich in allen Details welchen langen Weg unsere Rucksäcke schon zurückgelegt haben, welche Länder wir bereisten und was es dort alles zu entdecken gibt.

"Könnt ihr das morgen vor der ganzen Klasse erzählen?", fragt sie mit leuchtenden Augen.
'Ich würde gern. Doch noch wissen wir nicht wo wir heut Abend bleiben werden', dachte ich.
Und als ob sie Gedanken lesen kann fährt sie fort: "Ihr könnt heut Abend bei uns im Lehrerwohnheim schlafen. Dort gibt es noch genug freie Betten."

Am nächsten Morgen bin ich etwas aufgeregt. Ist eine Weile her das ich in in einer Schule Vorträge gehalten habe.
Das letzte mal in Rumänien.
Es hat sich natürlich schon rumgesprochen das heute 2 Fremde in die Schule kommen.
Dort angekommen, sehen wir das alle Klassen schon an den Fenstern auf uns warten.
Ein beeindruckender Anblick welcher meiner Anspannung nicht sehr entgegenkommt.

Nachdem wir kurz im Lehrerzimmer waren, führt uns unser erster Weg in die Klasse 10c.
Die Lehrerin stellt uns kurz vor und wir halten unsern Vortrag. Das klappt sehr gut. Leanne und ich wechseln uns oft ab und ergänzen uns prima. Die Schüler stellen interessiert viele Fragen und die Lehrerin übersetzt.
Ich bin erleichtert und die Anspannung fällt allmählich ab.

Als wir fertig sind steht eine Schülerin auf und fragt ob sie uns etwas vorsingen darf.
Klar. Da haben wir nichts dagegen.
Ich wusste nicht worauf ich mich da einlasse. Doch dazu später.

Alles wird still. Gespannt warten wir auf den ersten Ton ihrer Stimme.
Sie kann wunderschön singen. Ich glaube sie ist die beste Sängerin in der Klasse und sich dessen vollkommen bewusst. Voller Stolz und Selbstbewusstsein trägt sie ihr Lied vor. Die ganze Klasse applaudiert. Und wir tun es ihnen gleich. Sie hat die Messlatte sehr hoch angesetzt.

Nun passiert etwas ungewöhnliches womit ich nicht gerechnet hatte.
Sie bitten mich etwas zu singen.
In dem Moment wünsche ich, dass sich vor mir ein großes schwarzes Loch öffnet durch das ich verschwinden kann.
Meine Unsicherheit kehrte schlagartig zurück.
Bis jetzt konnte ich meine Nervosität durch lautes reden verbergen.
Und natürlich versuche ich meine Nervosität zu überspielen, bin mir jedoch sicher das die Schüler diese zweifelsohne bemerkt haben.
Es ist leicht in den Gesichtern anderer Menschen zu lesen wenn man die Sprache und die Worte nicht versteht.

Ich zögere. Mit einem Lächeln sage ich: "Nein".
Doch im Grunde nur, um etwas zu sagen. Ich musste Zeit gewinnen.
Denn Jugendliche haben eine ganz bestimmte Eigenschaft: Wenn sie etwas wollen lassen sie nicht so einfach locker.

Ich weiß das es nur sehr wenige Menschen gibt die jetzt gerade mit mir tauschen wollen. Irgendwo habe ich einmal gelesen, dass die Angst, sich vor anderen zu blamieren größer ist als die Angst vor dem Tod.
Da stand er nun. Er war über 2.800Km gewandert. Durch Länder wie Rumänien und Bulgarien. Und nun sollte er einer Schulklasse etwas vorsingen.
In solchen Momenten fühlt man sich sehr allein und hilflos.

Ich erinnere mich zurück an meine Schulzeit.
Wo ich unzähligen male vor der Klasse stand und die Hausaufgabe an die Tafel schreiben, oder ein Gedicht vor der Klasse aufsagen sollte, welches ich natürlich nicht gelernt hatte.
Das kennt sicher jeder wenn er sich an seine Schulzeit zurück erinnert. Und ich erinnere mich das Schule irgendwie nie so richtig Spaß gemacht hat...
Außer Biologie. Nicht weil ich das Fach besonders mochte, nein, sondern weil dass das einzige Fach war wo ich direkten Blickkontakt zu meiner Jugendliebe hatte...
Ich saß an der Fensterreihe, sie am anderen Ende des Raumes an der Eingangstür.
Einmal trafen sich unsere Blicke und die Zeit schien still zu stehen. Wir sprachen nie miteinander.
Ich habe es ihr nie gesagt...
Aber das ist 'ne andere Geschichte.

Zurück zur Gegenwart.
Mein Blick schweift auf die Schulglocke, welche neben der Uhr, über der Tür hängt.
Ich hoffe das die Schulglocke ertönt und mich aus dieser Situation herausholt. Doch das geschieht nicht.
29 Schüler gucken mich mit großen Augen an und warten darauf das ich zu singen beginne. Eigentlich 31 denn Leanne und die Lehrerin warten mindestens genauso gespannt.

Bevor ich nochmal Nein sagen kann fielen mir die Zeilen eines Liedes wieder ein:
"Do one thing every day that scares you. Sing!"
("Mach jeden Tag etwas wovor du Angst hast. Sing!")
(Baz Luhrmann - Everybody's free (The sunscreen song))

Ich hatte oft in meinem Leben Nein zu Dingen gesagt zu denen ich gerne Ja gesagt hätte.
Warum nicht diesmal ein Ja wagen?

Ich glaube, es sind nicht die Fehler die wir in unserem Leben gemacht haben welche wir bereuen. Es sind eher die Dinge die wir nicht getan haben.
Es muss ein schlimmes Gefühl sein wenn man im hohen Alter im Schaukelstuhl sitzt, auf seine Vergangenheit zurück schaut, all die verpassten Chancen und Gelegenheiten sieht, und sich fragt: Was wäre gewesen wenn...
Und dann keine Antwort zu finden weil man es nie versucht hat...

Der erste Ton kommt sehr zögerlich. Mein Mund ist trocken. Die Temperatur im Raum ist um gefühlte 30°c gestiegen. Schweißperlen bilden sich auf der Stirn.
Mit sehr weichen Knien singe ich: "Snow Patrol - Run"
Eines der wenigen Lieder dessen Text ich auswendig kann. Es gefiel mir sehr seit ich es das erste mal in einer dieser Casting Shows gehört hatte.

Was dann passierte weiß ich nicht mehr.
Ich erinnere mich an alles, nur nicht an den Moment wo ich zu singen begann.
Was ich weiß: Sie nahmen den Titel nicht wörtlich. Sie rannten nicht aus dem Klassenzimmer.
Und als ob die Pausenglocke geduldig zugehört hat, ertönt sie mit der letzten Note.

Zu meiner Freude durfte Leanne dann in der nächsten Klasse die gleiche Erfahrung machen und auch über heiße Kohlen laufen.

In den großen Pausen spielen wir auf dem Schulhof Volleyball. Neben dem Laufen meine lieblings Sportart.
Immer wieder kommen Schüler hinzu und sprechen mit uns.
Von einer Schülerin wurden wir eingeladen über Nacht bei ihr und ihrer Familie zu bleiben.

Die Lehrer und die Schüler reagieren sehr positiv auf unsere Vorträge.
Für den nächsten Tag bekommen wir noch einen Laptop und einen Projektor und können so einige Fotos präsentieren.

Etwas merkwürdiges stelle ich fest und spreche in den Pausen mit dem Direktor und einigen Lehrern darüber.
In den Klassen sind, für mich, ungewöhnlich viele Mädchen, jedoch relativ wenig Jungs.
"Ja, es ist merkwürdig aber das ist völlig normal in der Türkei", sagt der Direktor. Es ist eine Hochschule.
Hier werden die Klassen 9-12 unterrichtet.
Das Schulsystem schreibt 8 Jahre vor. (Früher waren es sogar nur 5 Jahre.)
Viele Jungen verlassen nach der 8. Klasse die Schule und wollen Geld verdienen.
Die meisten Mädchen hingegen machen noch die 4 Jahre Hochschule und beenden erst nach 12 Jahren die Schule.
Sie sind sehr gut ausgebildet, heiraten meist jedoch sehr früh und sitzen dann oft zu Hause und passen auf die Kinder auf...

Ich sang vor der Klasse, spielte seit sehr langer Zeit wieder Volleyball, wir haben mit den Schülern gelacht obwohl wir unterschiedliche Sprachen sprechen, ich habe mich an meine Schulzeit zurückerinnert und weiß das gewisse Dinge im Leben nicht nachholbar sondern für immer verloren sind.
Und was in dem Artikel über die Angst nicht drin stand war, dass die Angst vor dem Leiden größer ist als das Leiden selbst...

Um 16Uhr, als der Tag langsam zu Ende ging packten wir unsere Rucksäcke...
...gingen noch einmal ins Lehrerzimmer...
...und verabschiedeten uns.
Von allen Lehrern und vom Direktor.
Ein letztes mal gingen wir über den langen Flur nach draußen.
Als wir uns noch einmal umdrehen sehen wir unzählige Schüler welche uns an den Fenstern hinterher winken.

"Hey, wartet!", hören wir eine Stimme.
In dem Moment kommt uns ein Mädchen hinterher gelaufen. Wir bleiben stehen und erkennen...
...Es ist Gamze, das Mädchen welche uns 2 Tage zuvor in die Schule gebracht hat.
Garnicht mehr schüchtern, jedoch etwas aufgeregt, fragt sie uns wohin wir jetzt gehen.
Schulterzucken. Das wissen wir nicht.
Kurzes schweigen...
Sie sagt in bestem englisch: "Auf Wiedersehen, es war mir eine Freude euch kennenzulernen und ich wünsche euch eine gute weitere Reise."
Diese Sätze hatte sie extra in den letzten 2 Tagen geübt...

Sie schaut uns an, 2 Fremde die von weither gekommen, und nun in eine Welt weiterziehen werden die sie auch gern durchstreifen würde...
In ihren Augen sehen wir, dass sie gern so viel mehr sagen würde, sie kann nicht.
Sie lacht, dreht sich um, und läuft zurück in die Schule.

Wir verlassen langsam den Schulhof und schauen ihr noch einmal kurz hinterher. Sie hat bald ihre Abschlußprüfung.
Und eines Tages wird auch sie diesen Schulhof für immer verlassen, voller Freude auf das Leben...


Nachwort:
Leanne ist in Koaceli geblieben und unterrichtet dort die nächsten 3 Monate an der Universität englisch.
Seit Mitte Dezember bin ich wieder allein unterwegs...

PS.: Ein Datum wie den 12.12.12 wird es erst wieder in 100 Jahren geben. Ich war sehr froh so gute Erinnerungen an diesen Tag zu haben...














Tag 264 - Tag 269: Von Istanbul (Moda) nach Kartal - 19Km (2742Km)


Donnerstag, 29.11.2012 - Dienstag, 04.12.2012

Es geht heut erst sehr spät los. 15Uhr machen wir uns auf den Weg. Doch nicht etwa weil wir keine Lust haben, nein.
Der Grund für den späten Start:
Ferdi, unser heutiger Gastgeber ist erst um 21Uhr zu Hause. Ich hatte ihn bereits vor 2 Wochen in Istanbul kennengelernt und er lud uns ein bei ihm zu bleiben wenn wir auf der asiatischen Seite sind.

Mike ist schon wieder auf der Baustelle und so genießen wir allein mit Ann die Zeit bis zum Start bei ein paar Tassen Tee .

Der Weg führt uns für die nächsten Wochen sehr schön am Ufer des Marmara Meer entlang.
Heut geht es vorbei an Fischern, die untergehende Sonne im Rücken. Wir legen die 19Km recht schnell mit ein paar kurzen Pausen zurück.
Ferdi wartet nämlich schon mit dem Abendessen.
Er ist 24 und erst seit 2 Jahren wieder hier in der Türkei. Seine Eltern sind mit ihm in die USA ausgewandert als er 4 Jahre alt war.
Nun arbeitet er hier an der Universität als Englischlehrer.
Zusätzlich verdient er sich privat etwas Geld mit Englischkursen welche er an 4 Abenden in der Woche gibt.

Als wir am nächsten Morgen weiter wollen sehen wir Schwarze Wolken aus denen kräftiger Regen fällt.
Das gleiche am nächsten Tag und den Tag darauf und an dem Tag darauf und...

Viel passiert in diesen Tagen nicht. Vor die Tür lockt uns nichts, wir verbringen die Tage bei Ferdi im trockenen.
Am Abend Kochen und Grillen wir oft gemeinsam.

Doch ein für mich persönlich- historisches Ereignis geschieht:
Ich lege im alter von 31 Jahren hier in Kartal meine erste Schallplatte auf.
1981 geboren, war ich noch zu Jung und durfte noch keine dieser Kostbaren Schallplatten auflegen welche wir besaßen. Als ich dann alt genug war, und hätte können, hatte ich kein Interesse mehr.
Ferdi besitzt tatsächlich noch jede Menge Schallplatten und nennt auch ein geeignetes Audioabspielgerät sein eigen.
So kam es dass ich hier in in Kartal im Alter von 31 Jahren meine erste Schallplatte auflegte.
Simon and Garfunkel: Bridge over troubled water. Legendär!

Und ich bin mir sicher es wird nicht das letzte sein was ich zum ersten mal in meinem Leben tue...